Berlin (energate) – Dezentrale Energielösungen und Dienstleistungen werden zu einem immer wichtigeren Geschäftsfeld – gerade auch vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine. Der Vattenfall-Konzern hat 2021 eine eigene Geschäftseinheit für diese Themen gegründet. Im energate-Interview erklärt Geschäftsführer Markus Reinhardt unter anderem, wie Wallboxen trotz Lieferengpässen zum Kunden kommen und wie sich neue Kundenbeziehungen knüpfen lassen.
energate: Herr Reinhardt, Sie sind Geschäftsführer der 2021 gegründeten Geschäftseinheit Vattenfall Next Energy. Welche Strategie steckt hinter dieser Gründung?
Reinhardt: Wir haben bis dato verschiedene B2B-Anwendungen in einer Einheit angeboten, der Vattenfall Smarter Living. Weil dezentrale Energiedienstleistungen sehr stark wachsen, wollten wir das Profil schärfen – auch nach außen. Darum gründeten wir Vattenfall Next Energy. Im Fokus steht dabei sowohl der Vertrieb von zum Beispiel Wärmepumpen, PV und Wallboxen als auch unser Full-Service-Dienstleistungsangebot für Unternehmen. Deren Kundinnen und Kunden merken dabei nicht, dass wir im Hintergrund agieren. Aktuell arbeiten in der Einheit 50 Mit arbeiterinnen und Mitarbeiter sowie 35 externe Entwickler. Und wir sind weiter auf Wachstumskurs.
energate: Wer ist Ihre Zielgruppe beziehungsweise für wen lohnt es sich, dezentrale Dienstleistungen wie die Vermietung einer PV-Anlage über einen Dritten abzuwickeln?
Reinhardt: Im Grunde für jeden, der sich mit Energiedienstleistungen befasst und diese vertreibt. Schon seit einiger Zeit verändert sich das Kerngeschäft der Versorger: Es wird kleiner und wirft weniger ab. Mit Blick auf den Klimaschutz war auch das Gasgeschäft bereits mit schrumpfenden Absatzprognosen konfrontiert. Die aktuelle Energiekrise verschärft diesen Trend massiv.
energate: Inwiefern?
Reinhardt: Aktuell fragen Kunden aktiv nach Lösungen zur Eigenversorgung und Alternativen zu fossilen Lösungen. Gerahmt wird das Ganze noch von der Digitalisierung und der Herausforderung, die passenden Prozesse auch effizient umzusetzen. Viele Stadtwerke sind operativ gar nicht darauf ausgelegt, eine Vielzahl an Kundenanfragen zu bearbeiten und mit positiven Deckungsbeiträgen Vertrieb und Umsetzung solcher Dienstleistungen zu realisieren. Diese Unternehmen sind dann glücklich, wenn wir das kleinteilige Geschäft unterstützen oder übernehmen. Ihnen begegnen wir als flexibler Partner und richten uns nach den Bedürfnissen: Ob zum Beispiel das ganze PV-Paket gewünscht wird, zugleich aber nur ein Teil des Wärmepaketes. Ob die Servicepartner des Kunden eingebunden werden oder wir unsere Partner mitbringen sollen…
energate: Wie ist die Resonanz bislang?
Reinhardt: Wir erleben seit März eine enorme Marktdynamik – vor allem PV geht durch die Decke. Das wird auch die nächsten Jahre so bleiben: Die Nachfrage nach Photovoltaik wird sich verdrei- oder sogar vervierfachen. Ähnliches gilt für Wärmepumpen. Auch sie werden verstärkt nachgefragt und das Bundeswirtschaftsministerium plant bekanntlich, den Ausbau auf über 500.000 Wärmepumpen jährlich anzureizen! Aktuell vertrauen auf uns insgesamt 65 Partner, darunter kleinere Stadtwerke – aber auch große, wie zum Beispiel aus Bochum oder Bremen. Dazu kommen Regionalversorger wie die Entega oder Rheinenergie.
energate: Herzstück Ihrer Aktivitäten ist die digitale Plattform „VLink“, die Vattenfall 2017 von der Trianel erworben hat. Was macht die Plattform aus?
Reinhardt: Ich war von Anfang an involviert, habe die Plattform mitentwickelt und bin bis heute dafür verantwortlich. Als wir 2017 zu Vattenfall gingen, haben wir sie noch einmal neu aufgestellt: Wir sind zum Beispiel in die Telekom Cloud migriert, haben eine skalierungsfähige Architektur aufgesetzt und autarke Applikationen entwickelt, die über Schnittstellen miteinander sowie mit externen Systemen arbeiten können, um digitalen kundenzentrierten Vertrieb zu realisieren. Alles selbstverständlich unter Wahrung des Datenschutzes mit deutschen Rechenzentren und Vertragspartnern. Im Kern der Plattform wird quasi alles orchestriert, also etwa Marktpartner eingebunden. Sie enthält außerdem zum Beispiel Frontends und Landingpages für unsere Kundinnen und Kunden, von denen aus diese wiederum mit ihrem Kundenstamm interagieren. Die Plattform bildet zudem die Basis unserer mobilen Apps – zum Beispiel für Handwerker oder Vertriebler – und vernetzt zu betreuende Assets. Wichtig war uns dabei, auch externe Systeme – wie ein bereits vorhandenes CRM – einbinden zu können. Schließlich bringen unsere Kundinnen und Kunden ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit.
energate: Brauchen Sie dazu Smart Meter?
Reinhardt: Intelligente Zähler sind ein Weg, um an die nötigen Daten zu kommen und Services anbieten zu können. Aktuell können wir entweder mit Smart Metern oder mit Energiemanagementsystemen arbeiten oder auch die Assets direkt anbinden.
energate: Was steht abgesehen von PV und Wärmepumpen bei Ihren Kundinnen und Kunden noch hoch im Kurs?
Reinhardt: Lieferfähigkeit! Das ist ein wichtiges Thema geworden. In den vergangenen zwölf Monaten sind die Lieferketten durch Corona ohnehin schon unter Druck geraten, nehmen wir beispielsweise den Frachterstau im Shanghaier Hafen. Und jetzt erhält die Nachfrage einen weiteren Push wegen des Krieges in der Ukraine. Wir müssen die Leute angesichts der Gasdrosselung nicht mehr überzeugen, sie wollen nachhaltige Technik – und das am besten sofort. Während des KfW-Förderprogramms für Wallboxen für E-Autos haben wir beispielsweise ein eigenes Lager aufgebaut und dort immer einige Geräte vorrätig gehabt. Insgesamt haben wir alleine 2021 mehrere Tausend Wallboxen darüber absetzen können. Der Gedanke hinter der Lagerung ist, auch bei Lieferengpässen am Markt gute Produkte zu guten Konditionen liefern zu können. Denn es wird mehr Nachfrage als Angebot geben, auch in den nächsten Jahren.
energate: Sind Sie bereits in den schwarzen Zahlen?
Reinhardt: Wir sind seit diesem Jahr in den schwarzen Zahlen und werden weiter investieren. Konkrete Umsatzzahlen kommunizieren wir allerdings nicht.
energate: Zum Abschluss – in welchem Bereich sehen Sie derzeit das größte Wachstumspotenzial?
Reinhardt: Einige habe ich ja schon genannt. Hervorheben möchte ich insbesondere die sich verändernden Kundenbeziehungen: Immer mehr Menschen wollen eigenen Strom erzeugen. Für den Use Case muss ich die passende Lösung haben, etwa auch vorrätige Speicher. Außerdem wollen die Menschen weg von Öl und Gas, also helfen wir bei der Umstellung und unsere Partner können – etwa über Wärmepumpen – dann mehr Strom verkaufen.
energate: Danke für das Gespräch!
Quelle: Zugehör Daniel: „Lieferfähigkeit ist ein wichtiges Thema geworden“, in: emergate messenger+, 18.09.2022
Download des Artikels: Hier klicken.